Alt-Fall: Ein Dorf taucht auf – Arbeiten am Sylvensteinstausee

„Veri machte sich’s bequem, scharrte von dem Fleck, wo seine Füße standen, den Schnee fort und betrachtete das ihm gegenüberliegende Gehöft des Meierbauern. Es war ein hölzernes Haus, Wohnraum, Stallung und Scheune in ein Ganzes zusammengebaut und alles überdeckt von dem langgestreckten, weit über die Holzmauern vorspringenden Schindeldach, über dem sich der Schnee mit fester Decke gelagert hatte. (…)

Er dachte sich mit einem jungen, fröhlichen Weiberl in die geräumige Wohnstube, die mit der Küche den Raum zu ebener Erde einnahm; die große Bodenkammer, die über dem Stall lag, an der Längsseite ein Dachfenster hatte (…) erschien ihm in seinen Träumen von Glück und bettwarmer Liebe als gemütlichste Ehestube. (…) Und nun gar der schöne Stall mit den acht Kühen! Und die große Scheune, dick vollgepropft mit dem besten Heu! (…) Im Hochsommer, zur Zeit der Schulferien, sah man wohl von Tag zu Tag ein paar Touristen, selten einen Wagen. Die Stille des Ortes wurde nur unterbrochen durch das dumpfe Poltern der Holzstämme, die, von den Hebeln der Flößer getrieben, hinabrollten über die steilen Ufer der Lagerplätze und mit lautem Klatsch in das Wasser schlugen.“ So beschreibt der Mundart-Dichter Ludwig Ganghofer im Jahr 1883 in seinem Roman „Jäger von Fall“ den kleinen Ort an den Ufern der Isar, südlich von Lenggries.

Die Gebäude von Fall wurden für den Bau des Sylvensteinstausees abgerissen – auch die Kirche, deren Spitze laut Mythos bei Niedrigwasser gelegentlich aus dem Wasser hatte spitzeln sollen.

Die Gebäude von Fall wurden für den Bau des Sylvensteinstausees abgerissen – auch die Kirche, deren Spitze laut Mythos bei Niedrigwasser gelegentlich aus dem Wasser hatte spitzeln sollen.

Heute ist davon allerdings nicht mehr viel zu sehen: In den 50er Jahren versank das malerisch gelegene Fall mit seinen Höfen, Holzer- und Köhlerhütten, der Marienkapelle mit Pfarrhaus, der Schule und der Gastwirtschaft auf Nimmerwiedersehen in den Fluten der Isar. Die Bewohner räumten ihre Häuser, trugen sie sogar bis auf die Grundmauern ab – sie bestanden meist aus Holz und Baumaterial war zu dieser Zeit rar – und zogen samt neuer Kirche fast 800 Meter höher an die Straße nach Vorderriß. Ihre alte Heimat hatte dem Sylvensteinstausee weichen müssen, der in den Jahren 1954 bis 1959 gebaut werden musste.

Der aktuell um 15 Meter abgesenkte See ist aktuell Touristenattraktion in der ganzen Region. Bei dem strahlenden Wetter der vergangenen Wochen wanderten unzählige Besucher auf dem Grund des Sees und besuchten auch die Grundmauern des alten Dorfes Fall.

Der aktuell um 15 Meter abgesenkte See ist aktuell Touristenattraktion in der ganzen Region. Bei dem strahlenden Wetter der vergangenen Wochen wanderten unzählige Besucher auf dem Grund des Sees und besuchten auch die Grundmauern des alten Dorfes Fall.

Früher, als Hofjagdrevier, war Fall ein beliebter Treffpunkt der Prominenz. Wittelsbacher wie König Maximilian II. (1811-1864) und Prinzregent Luitpold (1821-1912) vertrieben sich hier ihre Zeit. Zu den berühmten Besuchern in der Neuzeit zählten auch der Maler Karl Theodor von Piloty (1826-1886), der Dichter und Volkskundler Franz von Kobell (1803-1882) und der Heimatdichter Ludwig Thoma. Allein der Bruckbräu von Tölz lieferte um 1900 jährlich mehr als 90.000 Liter Bier in das kleine Dorf.

Das legendäre Dorf ist aktuell in aller Munde, tauchte es doch wegen Wartungsarbeiten wieder aus den Fluten auf. In den vergangenen Wochen pilgerten tausende Besucher auf die Brücke des Sylvensteinstausees, zahlreiche wagen sich auch auf den schlammigen Grund des abgelaufenen Sees. Es gab Berichte im Fernsehen, die regionalen Tageszeitungen titelten über Wochen immer wieder mit überraschenden Bildern und über Facebook und Twitter wurden zahlreiche Fotos gepostet. Sie zeigten begeisterte Menschen, die die Ruinen der alten Häuser erforschten und sich dabei weder vom würzigen Algenduft noch von der klebrigen Konsistenz des leicht angefrorenen Schlicks abschrecken ließen.

Woher die Begeisterung der Menschen für den um 15 Meter abgesenkten See kommt, kann sich das Wasserwirtschaftsamt nicht erklären – bei Revisionsarbeiten in der Vergangenheit, zuletzt 1999, war das Interesse nie so groß gewesen. Vielleicht ist es die Tatsache, dass der See wahrscheinlich nicht so bald wieder abgelassen werden soll? Aktuell wird übrigens der Verschluss des Grundablasses erneuert. Die Bauarbeiten laufen voraussichtlich noch bis März, erst dann kann der See wieder voll geflutet werden.

Der See ist übrigens auch wenn er mit Wasser gefüllt ist, durchaus einen Besuch wert! Mit seiner imposanten Brücke ist der Sylvensteinstausee ein häufig abgebildetes Motiv vor der Kulisse des Karwendelgebirges. Er lockt mit zahlreichen Wanderwegen und Badestellen. Man sieht es dem See nicht an, dass er ein künstliches Gewässer ist, so harmonisch fügt er sich mit seinen drei Armen in die Landschaft ein.

Der Bau des Stausees – ein Rückblick

Der Stausee befindet sich dort, wo sich früher die drei Flüsse Isar, Dürrach und Walchen vereinigten und als Isar durch die Engstelle am Sylvenstein Richtung Lenggries flossen. An dieser Stelle ist heute der 44 Meter hohe und 180 Meter lange Staudamm bestehend aus Kies, Geröll und Sand mit einem Dichtungskern aus Erdbeton.

Der Bau des Stausees in den 1950er Jahren war höchst umstritten. Doch nachdem der Isar 1924 durch den Bau des Walchensee-Kraftwerks und drei Jahre später durch das Achensee-Wasserkraftwerk unter anderem die Zuflüsse Rißbach und Achen genommen wurden, sank der Wasserspiegel des einst so reißenden Flusses in seinem Oberlauf immer mehr – sogar die Stadt Bad Tölz litt unter dem Wassermangel. Ein konstanterer Wasserspiegel für die Isar war dringend erforderlich – dafür wurde der Stausee konzipiert, der Hochwasserschutz des Isartals bis München war erst das zweite Ziel. Zwei Wasserkraftwerke am Damm dienen zudem der Energiegewinnung.

Die Flößerei hatte als wichtiger Wirtschaftsfaktor entlang der Isar bereits Anfang des 20. Jahrhunderts unter anderem durch die Eisenbahn an Bedeutung verloren, nach dem Ersten und auch dem Zweiten Weltkrieg erfuhr sie wegen der zerstörten Bahngleise und Straßen noch einmal einen kurzen Aufschwung. Vergnügungsfahrten auf dem Floß waren auch ab Tölz sehr beliebt gewesen, waren jedoch wegen der geringen Wassermenge nicht mehr möglich – selbst der Sylvensteinstausee konnte hier nicht abhelfen. Erst ab Wolfratshausen führt die Isar dank der Loisach wieder genug Wasser, perfekt für eine fröhliche Fahrt bis München.

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