„Die Welt reparieren“ – im BADEHAUS Waldram-Föhrenwald

In Wolfratshausen-Waldram gibt es seit Ende 2018 eine ganz besondere Erinnerungsstätte an die Zeit seit 1939, als Waldram noch Föhrenwald hieß und die meisten Einwohner nicht freiwillig dort waren.

„Ob des was werd…“ lautete die skeptische Einschätzung nicht nur vom zweiten Bürgermeister Fritz Schnaller, als er vor sieben Jahren zum ersten Mal von der ambitionierten Idee hörte – der Idee, das ehemalige Badehaus einer Mustersiedlung der Nationalsozialisten für Rüstungsarbeiter nicht abzureißen, sondern in ein Museum, einen Erinnerungsort zu verwandeln. Heute, vier Monate nach der Eröffnung des Museums, zieht er seinen Hut: „Es ist nicht nur „etwas“ geworden, sondern etwas Tolles.“ Damit sprach er allen Mitgliedern der Stadtverwaltung und Stadträten aus der Seele, die kürzlich bei einer Führung der Initiatorin Dr. Sybille Krafft das Museum kennenlernen durften.

Das Lager Föhrenwald und seine Geschichte

Angefangen hat das Gebäude 1939 so ziemlich als das Gegenteil eines Museums. Es war das tatsächliche Männerbad des geschlossenen Lagers Föhrenwald, wie der heutige Wolfratshauser Ortsteil Waldram anfangs hieß. Bewohner des Lagers waren zum Kriegsdienst verpflichtete junge Männer und Tausende von osteuropäischen Zwangsarbeitern, die in Geretsried das Sprengstoffwerk „Dynamit A.G.“ und den Munitionshersteller „Deutsche Sprengchemie“ aufbauen sollten – offiziell als „Schokoladenfabrik“ getarnt entstanden hier zwei der größten Munitionsfabriken Deutschlands. Gegen Kriegsende führte der KZ-Todesmarsch aus Dachau vorbei. Dann machten die Aliierten Föhrenwald zu einem Lager für jüdische „Displaced Persons“, meist polnische Heimatvertriebene, Geflüchtete oder Verschleppte, die den Holocaust überlebt hatten. Ab 1956 wurden dann meist katholische, kinderreiche Heimatvertriebene angesiedelt – zum ersten Mal waren die Bewohner von Waldram, wie das ehemalige Lager jetzt hieß, freiwillig dort.

Ein Badehaus als Museum

All diese Stationen lassen sich heute in dem renovierten, modern ausgestatteten Museum „wie im Zeitraffer“ nachverfolgen. Bereits im sogenannten „Auftaktraum“ sind auf einer mannshohen Karte die Straßennamen Waldrams verzeichnet – jede Straße hatte im Laufe der Jahre drei davon: einen zur NS-Zeit, einen als die Displaced Persons dort untergebracht waren, und einen, der seit der Zeit der Heimatvertriebenen gilt. In diesen drei Phasen ist die ganze Ausstellung strukturiert, in chronologischer Abfolge. Außerdem hängt in dem multifunktionalen Raum ein Porträt von Max Mannheimer. Er war Betreuer der zum Teil schwerst traumatisierten Waldramer Holocaust-Überlebenden und bestand darauf, das erste Mitglied des Vereins Bürger fürs BADEHAUS zu werden. Er ist nun nicht nur erstes, sondern auch Ehrenmitglied, denn sein Engagement hat maßgeblich zum Erfolg des BADEHAUS als Erinnerungsort beigetragen. Herzstück sind nämlich Zeitzeugenberichte, etwa von Kindern der Holocaust-Überlebenden, die multimedial aufbereitet und an Medienstationen in jedem einzelnen Raum des Museums zu sehen und zu hören sind. „Unverbraucht“ nennt BADEHAUS-Mitarbeiter Jonathan Coenen diese Zeitzeugen, denn ihre Erzählungen sind neu, nie zuvor öffentlich gemacht, und sie selbst waren oft die letzten, die erwartet hätten, dass ihre Kindheit, ihre Erlebnisse einmal in diesem Rahmen Gehör finden würden.


Und nicht nur Erzählungen und alte Fotos erwarten einen in den Räumen, auch skurrile Relikte denen wohl zu ihrer Zeit niemand zugetraut hätte, sie einmal in einem Museum zu finden. Munitionskisten aus „Grid“ (so wurde unsere Nachbarstadt damals abgekürzt), speziell verstärkte Arbeiterschuhe, Mehlsäcke mit Hakenkreuz-Aufdruck oder auch der Schwarzweißfilm eines Wolfratshauser Hobbyfilmers, auf dem die groteske Mischung aus einem Erntedank-Festzug und Nazi-Propaganda zu sehen ist: Viele dieser Dinge wurden nach einem Aufruf der BADEHAUS-Initiatoren auf Wolfratshauser Dachböden ausgegraben und aus Kellern gezogen, hergerichtet, ausgestellt. Ganze Fotoalben tauchten auf, die die Kindheit im Lager Föhrenwald dokumentieren – eine Überraschung auch für die Initiatoren, war das Projekt doch in der NS-Zeit strengsten Geheimhaltungsrichtlinien unterworfen.

Mitgestalten und etwas bewegen – auch als junger Mensch

Doch bis das Projekt so weit gediehen war, war viel Wasser die Isar heruntergeflossen. 17.000 Ehrenamtsstunden stecken bereits darin, und auch jetzt, im laufenden Betrieb, stemmt der Verein die ganze Arbeit ehrenamtlich. Einzige Ausnahme ist Jonathan Coenen, ein Ickinger Student. Für ihn ist der Erinnerungsort BADEHAUS eng verknüpft mit dem jüdischen Spruch „Tikun Olam“ – übersetzt bedeutet das so viel wie „Die Welt reparieren“. Dabei will er helfen, mitarbeiten damit die „Geschichte eines Neuanfangs“ im Lager Föhrenwald nicht vergessen wird. „Mich fasziniert diese Dynamik, das Interesse, das diesem Projekt entgegenschlägt“, schwärmt er. Für Frau Dr. Krafft ist er inzwischen zum  „geheimen Geschäftsführer“ avanciert. Und er ist nicht der einzige junge Mensch, der für das BADEHAUS brennt: Tilman Voss, ein 17-jähriger Abiturient aus Geretsried, macht hier ein „freiwilliges kulturelles Jahr“ im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes, den das BADEHAUS offiziell ausrichten darf. „Das BADEHAUS ist eine Stelle, wo man selbst als BufDi das Gefühl hat, dass man wirklich etwas mitgestalten kann und nicht nur die Drecksarbeit erledigt“, erklärt er seine Wahl. Er bewundert die Mischung aus Professionalität und persönlicher Note und hat sich als „Junge für alles“ längst unentbehrlich gemacht. Sybille Krafft ist dankbar für die junge, qualifizierte Hilfe und hegt den sehnlichen Wunsch nach Mitteln für einen zweiten „BufDi“. Besonders in diesen von politischer Unsicherheit geprägten Zeiten findet sie es besonders wichtig, „dass die nächste Generation den Wert eines demokratischen und friedlichen Europas erkennt und den Stab der Erinnerung weiter trägt“.

Und dieser Wunsch scheint sich zu erfüllen: Zur Eröffnungsveranstaltung am 20. Oktober letzten Jahres kamen über 100 Besucher aus aller Welt. Für die Mitarbeiter ging eine Ära zu Ende – sieben Jahre, insgesamt 17.000 Ehrenamts-Stunden lang hatten sie dafür geschuftet und gekämpft, diesen Erinnerungsort zu erhalten. Doch gleichzeitig beginnt eine neue Ära, in der sich das Museum zu einer der außergewöhnlichen Attraktionen der Region entwickelt. Inzwischen durften die „Badehäusler“ ihr Baby bereits mehr als 1.400 Besuchern vorstellen, oft werden Sonderführungen gebucht – und das alles ohne große Marketingkampagnen, obwohl die natürlich noch verstärkt werden sollen. Außerdem soll es nicht beim reinen Museums-Betrieb bleiben: Die Räume können sogar für Veranstaltungen gemietet werden – etwa für Seminare, Vereinstreffen oder für Geburtstage in einer Atmosphäre, die sich mal von Bar, Restaurant und co. abhebt – „oder wenn den Damen und Herren aus dem Rathaus der Sitzungssaal doch mal zu langweilig wird“, scherzt Sybille Krafft. Denn am Ende soll das BADEHAUS wahrlich ein Ort der Erinnerung, der Begegnung und des Lernens sein.

Karolin Wolf

mehr: http://www.badehauswaldram.de/

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