Über Kühe und Biodiversität

„Nanu, was macht ihr denn hier?“ Neugierig blicken die Mutterkühe und ihre Kälbchen mit ihren kullerrunden Augen auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Führung zum Beweidungsprojekt in der Pupplinger Au. Der Besuch der Muttertierherde ist ein wahres Highlight für die interessierten Teilnehmenden, die sich am 20. Juni 2020 – natürlich unter entsprechenden Auflagen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie – am Gasthof Aujäger in Egling trafen, um den Hintergründen des Beweidungsprojektes zu lauschen.

„Für den Isartalverein war das ein Pilotprojekt“, berichtet Erich Rühmer, Erster Vorsitzender des Projektträgervereins. Bereits mit der Gründung im Jahre 1902 durch Gabriel von Seidl, engagiert sich die Umweltvereinigung „Isartalverein e.V.“ (ITV) für den Erhalt unserer einmaligen Natur und Landschaft des Isartals und dessen Umgebung. Gleichzeitig ist sie auch in der Öffentlichkeitsarbeit präsent und informiert die Menschen über die Notwendigkeit und Hintergründe des Umweltschutzes.

Ein Teil der Präsenzarbeit des Isartalvereins e.V. sind auch die Führungen, wie sie unter anderem bei dem Beweidungsprojekt angeboten werden. Die Referenten dieser Führungen haben sich die Zeit genommen und gemeinsam die Interviewfragen beantwortet.

Im Folgenden erzählen uns Herr Rühmer (Erster Vorsitzender des ITV), Herr Kaschek (Landratsamt Bad Tölz – Wolfratshausen) und Herr Henning (Projektmanager) mehr über die Hintergründe des Beweidungsprojektes und weshalb die grasenden Rinder eine wahre Unterstützung für die Biodiversität in der Pupplinger Au sind.

Seit 2010 stehen in der Pupplinger Au auf den Flächen zwischen Wehrbau- und Austraße Rinder. In der Herde findet man unter anderem auch das Murnau-Werdenfelser Rind, das leider auch auf der Roten Liste steht.

Herzlichen Dank für Ihre Zeit. Das Beweidungsprojekt in dem Naturschutzgebiet der Pupplinger Au ist ein Projekt des „Isartalvereins e.V.“. Zeitgleich gehört es zu den BayernNetzNatur-Projekten, die seitens der Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt- und Verbraucherschutz begleitet werden, und wird sogar als Best-Practice-Beispiel aufgeführt.

Was bedeutet das genau, welche Unterstützung erfährt das Projekt dadurch und welche Akteure sind außerdem an dem Beweidungsprojekt beteiligt?

Im Jahr 2009 warb Herr Joachim Kaschek von der unteren Naturschutzbehörde am Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen um Unterstützung des Projektes, konkret darum, ob der ITV die Projektträgerschaft übernehmen könnte. Die Ausführungen von Herrn Kaschek waren so überzeugend, dass der Vereinsausschuss einstimmig die Trägerschaft übernahm einschließlich der Bereitschaft einen Teil der Kosten dafür zu übernehmen.

Der Hintergrund für das Projekt lag einerseits in den naturschutzfachlichen Defiziten, die in den Isarauen immer stärker zu Tage traten, andererseits sollten zum „Internationalen Jahr der biologischen Vielfalt 2010“ Maßnahmen durchgeführt oder ins Leben gerufen werden, die zum Ziel hatten, die biologische Vielfalt zu stärken und wo erforderlich wiederherzustellen.

Die Unterstützung für das Projekt war sehr vielfältig. Die Planung dazu wurde von der Firma PAN im Auftrag des Umweltministeriums durchgeführt und kostenlos zur Verfügung gestellt. Gefördert wurde das Projekt mit Mitteln des Freistaats Bayern (Landschaftspflege- und Naturparkprogramm), dem Bayerischen Naturschutzfonds, dem Bezirk Oberbayern und dem Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Diese Mittel wurden für das Projektmanagement und für die Beweidung eingesetzt. Außerdem wurde ein umfangreiches Monitoring durchgeführt, um den Erfolg der Maßnahmen auch belegen zu können. Die wichtigsten Akteure bei der Umsetzung des Projektes sind Herr Markus Henning von der Maschinenring Wolfratshausen AG, der mit dem Management beauftragt wurde und Herr Burkhardt Quinger mit Herrn Kilian Hee, welche das Monitoring übernommen haben. Und natürlich Herr Manfred Schmid, dessen Murnau-Werdenfelser Rinder die eigentliche „Arbeit“, nämlich die Beweidung, übernommen haben.

Welches Ausgangsproblem fand man denn in der Pupplinger Au vor?

Mit dem Bau der Dammstraße in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zum Schutz des Ickinger Wehrs waren die dahinterliegenden Flächen von der Isar abgeschnitten.

Zunächst durften Bauern aus der Umgebung die Flächen noch nutzen, so zum Beispiel durch die Mahd des Bewuchses als Einstreu für die Ställe und Anfang der 60er Jahre wurden zeitweise auch Schafe in den Isarauen gehalten.

Die natürliche Auendynamik, welche vor allem bei großen Hochwässern wie beispielsweise 1940 und zuletzt 1999 und 2005 die typische Artenvielfalt alpiner Wildflüssen maßgeblich beeinflussen, war unterbrochen und die Vegetation der sogenannten Sukzession ausgesetzt. Mit der Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung bekamen vor allem Pflanzenarten, die kein Hochwasser oder eine Überdeckung mit Kies vertragen, die Chance sich auszubreiten. Zu diesen gehört das Rohrpfeifengras, das so dominant geworden war, dass es auf großer Fläche andere Pflanzenarten vollständig verdrängt hat und fast schon sowas wie eine Monokultur darstellte.

Über die Jahrzehnte hatte sich eine dicke Streufilzdecke aus unzersetztem Gras gebildet, die auch verhinderte, dass sich die Waldkiefer – die bislang dominierende Baumart – nicht mehr vermehren konnte.

Und welche Rolle spielen dabei die grasenden Rinder in der Pupplinger Au?

Nachdem die derzeitigen Verhältnisse – insbesondere die Dammstraße oder die Existenz des Sylvensteinspeichers – nicht geändert werden können, hat man sich überlegt, mit welcher Maßnahme die Artenvielfalt auf der Fläche verbessert werden kann und der Charakter eines Schneeheide-Kiefernwalds erhalten beziehungsweise wieder verbessert werden kann. Einerseits kam dafür eine Mahd in Frage – die aber aufgrund der riesigen Dimensionen nicht ernsthaft in Betracht gezogen wurde. Also wurde – auch aufgrund von Erfahrungen aus bestehenden Projekten – als weitere Möglichkeit die Beweidung gewählt, weil mit dieser recht große Flächen gepflegt werden können und noch weitere ökologische Vorteile beispielsweise eine höhere Strukturvielfalt mit einer Beweidung erreicht werden können. Wichtigstes Ziel war zunächst eine Zurückdrängung der starkwüchsigen Gräser und der Hoffnung, dass die neu entstehenden Lücken von anderen Pflanzenarten übernommen werden. Außerdem sollte die Streufilzdecke aufgelöst und damit die Keimmöglichkeiten für die Waldkiefer verbessert werden.

Mit der Beweidung der Flächen kürzt und reduziert sich das Rohrpfeifengras. So haben auch die Schneeheide-Kiefernwälder wieder die Chance sich auszubreiten.

Das Beweidungsprojekt startete im Jahr 2010. Welche positiven Entwicklungen lassen sich hervorheben und welche beispielhaften Herausforderungen galt es zu lösen?

Wir begannen die Beweidung zunächst auf 14 ha mit 12 Murnau-Werdenfelser Rindern. Bereits nach der ersten Weidesaison kamen die beteiligten Fachleute zum Ergebnis, dass eine Beweidung sich positiv auf die Aue auswirken kann und so kamen in den nächsten Jahren neue Flächen hinzu, die heute fast 62 ha groß sind.

Nachdem die Entscheidung für eine Beweidung gefallen war, musste überlegt werden, mit welchen Tieren diese durchgeführt werden sollte. Klar war, dass man Weidetiere brauchte, die mit der kargen Kost zurechtkommen würden. Nachdem Schafe und Ziegen von vornherein ausgeschlossen worden waren (diese würden die gewünschte Verjüngung der Waldkiefer behindern), suchte man nach einer geeigneten Rinderrasse. Heckrinder oder Wisente wurden schnell ausgeschlossen, da der Aufwand für die Zäunung gigantisch gewesen wäre und eine Gefährdung der Erholungssuchenden durch die Tiere niemand verantworten konnte. Ein Vorschlag von Herrn Deeg, der sich dem Erhalt der Murnau-Werdenfelser Rasse verschrieben hat, machte den Ausschlag. Er kannte nämlich Herrn Schmid als Halter dieser Tiere und wir wurden uns mit ihm schnell einig, dass er die Fläche übernehmen würde. Ein weiterer sehr positiver Effekt zum Jahr der Biodiversität war, dass auch diese alte Rasse als „vom Aussterben bedroht“ auf der Roten Liste der gefährdeten Haustierrassen verzeichnet war.

Die nächste Herausforderung war, wie man die Tiere sicher auf der Fläche halten konnte. Immerhin sind die Isarauen auch ein herausragendes Erholungsgebiet südlich von München. So wurde beschlossen, die Zäune fest aufzustellen und mit dem typischen Weide-Stacheldraht zu versehen. Nachdem eine Förderung des Zaunbaus über die bestehenden Finanzierungsprogramme nicht möglich war, wurden die Kosten von der unteren Naturschutzbehörde mit Ersatzzahlungsmitteln übernommen. Damit war schon ein großer Brocken geschafft und die Beweidung konnte 2010 aufgenommen werden.

Die Abgelegenheit der Weide vom Hof, machte es dem Tierhalter unmöglich täglich nach seinen Tieren zu schauen, wie es vorgeschrieben ist. Auch dafür fand sich schnell eine Lösung. Die vom Landkreis beschäftigten Isarranger übernahmen diese Aufgabe gerne und bekamen noch Unterstützung durch Mitglieder der Naturschutzwacht Wolfratshausen. Auch hier gibt es den positiven Nebeneffekt, dass die Tiere sich nicht dem Menschen „entwöhnen“ und über die Monate auf der Weide scheu werden. Deshalb gab es auch bei Führungen nie das Problem, dass Besucher durch aggressive Tiere gefährdet gewesen wären.

Zunächst wusste niemand so recht, ob die Rinder die „einseitige Kost“ aus Rohrpfeifengras überhaupt so nutzen können, dass die Tiergesundheit nicht auf der Strecke bleibt. Diese Furcht, das Projekt schon nach einer Saison aufgeben zu müssen, war aber unbegründet. Vielmehr entwickelten sich die Tiere nach Angaben von Herrn Schmid ähnlich gut, wie auf seiner Heimweide, so dass auch er schnell Interesse an einer Vergrößerung der Weidefläche hatte.

Eine weitere Herausforderung war die Versorgung der Tiere mit Trinkwasser. Im ersten Jahr hatten wir eine Fläche bestimmt, auf der Wasser in natürlichen Quellbächen ausreichend zur Verfügung stand. Alle weiteren Koppeln müssen mit der regelmäßigen Bereitstellung von Weidefässern versorgt werden. Zwei Koppeln werden auch über einen eigens errichteten Brunnen mit mechanischen Pumpen versorgt, welche die Tiere selbst bedienen können.

Ein weiteres Problem stellte sich bei der Frage, wie mit unserer größten heimischen Orchidee, dem Frauenschuh umgegangen werden soll. Diese ist nicht nur streng geschützt, sondern auch eine Art, die nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union in diesem Gebiet zwingend zu erhalten ist. Während die Rinder die Pflanze im ersten Weidejahr unbeachtet stehen ließen, begannen sie die Blüten im zweiten Jahr abzufressen. Die Lösung fand sich in der Umstellung des Weideregimes. So hat man die Tiere im dritten Jahr zunächst auf Koppeln aufgetrieben, auf denen kein Frauenschuh gefunden worden war und erst zuletzt auf die Koppeln mit einem Bestand der Orchidee. Heute sehen wir das etwas entspannter. Denn durch die Beweidung blühen mittlerweile auch Frauenschuhpflanzen in Arealen, wo sie zuvor keine Chance hatten sich gegen das Pfeifengras durchzusetzen und es bleiben immer ausreichend Blüten erhalten, um die Art dort zu erhalten und es kommen fast jedes Jahr neue Standorte hinzu.

Der Erfolg zeigt sich vor allem darin, dass das Rohrpfeifengras mittlerweile so stark dezimiert wurde, dass sich an seiner statt andere Arten ansiedeln konnten. So z.B. die Weiße Segge, die Fiederzwenke oder die Schwarze Akelei. Außerdem ist die Streufilzdecke teilweise komplett verschwunden, an anderer Stelle zumindest auf wenige Zentimeter geschrumpft. Hinzu kommen verschiedene Orchideenarten wie z.B. die Mücken-Händelwurz oder die Waldhyazinthe, die – meist noch einzeln – aber stetig gefunden werden können.

Der Rückgang des Pfeifenrohrgrases führte dazu, dass sich einige Pflanzenarten wieder ansiedeln konnten. In der Pupplinger Au findet man auch verschiedene Orchideenarten, wie zum Beispiel die Mücken-Händelwurz.

Warum hat die Pupplinger Au solch eine herausragende Stellung, die sie besonders schützenswert macht?

Die Pupplinger Au ist Teil des alpinen Wildflusses Isar und – trotz vieler Defizite – bis heute ein Hotspot der Artenvielfalt, insbesondere von Lebensräumen und Spezies, die es in dieser Zusammenstellung nur noch an wenigen Stellen in Bayern gibt.

Im Detail sind es die erhaltene Dynamik des Wildflusses, die das Flussbett nach jedem Hochwasser anders aussehen lässt, verschiedene Vogelarten wie Fluss-Uferläufer oder Fluss-Regenpfeifer, welche auf dem Kiesinseln im Fluss einen der noch wenigen, natürlichen Lebensräume in Bayern haben. Unter den Fischarten vor allem der Huchen, auch Donaulachs genannt, der sich außer in der Isar nur noch in drei anderen Flüssen in Bayern überhaupt natürlich vermehren kann. An Land finden wir die über Bayern hinaus bekannten, sehr artenreichen Schneeheide-Kiefernwälder, in denen mit der Kreuzotter und der Schlingnatter auch zwei seltene Schlangenarten in einem großen Bestand vorkommen. Insgesamt gibt es in diesem Gebiet über 200 Pflanzenarten, darunter auch reliktische Arten wie die Frühlings-Küchenschelle oder der Kiesbank-Steinbrech.

Der Gelbe Frauenschuh in der Pupplinger Au ist ein wahres Highlight und profitierte ebenfalls von der Dezimierung des Pfeifenrohgrases.

Welche Verhaltensregeln möchten Sie den Besuchern besonders ans Herz legen?

Schon die Information bei den Führungen, dass bei der Herde meist auch ein Stier dabei ist, beeindruckt die Besucher. Aber im Ernst: die Weidekoppeln sollten keinesfalls alleine betreten werden. Denn gefährlicher als der Stier sind meist die Mutterkühe, die bedingungslos ihre Kälber verteidigen, wenn sie sich in Gefahr fühlen. Und ein absolutes No-Go ist das Mitführen von Hunden in der Weide – auch nicht bei Führungen. Da kennen die Tiere – so friedlich sie auch wirken mögen – keinen Spaß.

Ansonsten sollten sich die Besucher der Pupplinger Au an die Regeln halten, die für das Naturschutzgebiet gelten; so z.B. Einhaltung des Verbots des Feuermachens oder des Betretens von Kiesinseln, wenn diese zum Schutz von Kiesbrütern gesperrt sind.

Im Naturschutzgebiet informiert eine Tafel die Besucherinnen und Besucher über das Weideprojekt, aber auch über ein respektvolles Verhalten in dem Gebiet.

Herzlichen Dank, Herr Rühmer, Herr Kaschek und Herr Henning, für das spannende und aufschlussreiche Interview.

 

Bei einem ähnlichen Beweidungsprojekt sind Ziegen und Esel an der Oberen Isar beteiligt. Hierzu sollen ebenfalls Führungen angeboten werden. Alle Informationen findet ihr laufend auf der unten verlinkten Internetseite des „Isartalvereins e.V.“.

Zum Weiterlesen

Neben dem Beweidungsprojekt in der Pupplinger Au, gibt es auch noch weitere Konzepte des „Isartalvereins e.V.“ zum aktiven Naturschutz, wie zum Beispiel die Ziegen und Esel, die Teil eines Beweidungsprojektes entlang der oberen Isar sind. Außerdem bietet der Verein vereinzelt Führungen an, freut sich über neue Mitglieder und informiert über Themen zum Umweltschutz. Wir haben euch hier die Internetseite des Vereins verlinkt.

Wollt ihr mehr über BayernNetzNatur-Projekte erfahren sowie zum Biodiversitätsprogramm Bayern 2030 – „NaturVielfaltBayern“, dann folgt doch einfach dem Link.

Der Bayerische Rundfunk verbildlicht das Isartal mit einem spannenden Dokumentationsfilm, den ihr auch in der Mediathek des BRs findet. Hier gelangt ihr direkt zu dem Filmtipp „Vom Leben im Isartal einst und jetzt“.

 

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